Bereits seit dem Jahr 2011 in Berlin wird im Club Dialog e.V. die professionelle Beratung zur Anerkennung ausländischer beruflicher Abschlüsse angeboten.

Julia Merian leitete das Projekt vom Anfang an bis zum Februar 2024. Sie hat eine nachhaltige Struktur für die Anerkennungsberatung geschaffen, einen hohen Standard für die Arbeit der Berater*innen gesetzt und führte effektive Arbeitsmethoden ein. Wir haben mit Julia Merian darüber gesprochen, wie sich der Bereich entwickelt hat und warum Beratung für die Anerkennung von Diplomen wichtig ist.

Wie hat die Arbeit zur Anerkennung von Abschlüssen im Club Dialog e.V. begonnen?

Das Beratungsprojekt zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse begann im Club Dialog e.V. zum Ende des Jahres 2011. Es war eine neue Richtung im bundesweiten Förderprogramm IQ – „Integration durch Qualifizierung“, das bereits seit dem Jahre 2005 existiert. Der Vorschlag kam vom BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales – aufgrund von Gesetzesänderungen, und wir begannen aktiv in dieser Richtung zu arbeiten. Die Grundlage unserer Arbeit bilden zwei „Anerkennungsgesetze“ – des Bundes und des Landes – sowie eine Vielzahl von Verordnungen.

Damals sind in Berlin mehrere Projekte entstanden, die zur Anerkennung beraten konnten. Die unterschieden sich vor allem in ihren Zielgruppen und in den Sprachen, in denen sie die Beratung anboten.

Wie hat sich dieser Bereich im Club Dialog e.V. verändert und entwickelt?

Die Hauptaufgabe – die Beratung zur Anerkennung von ausländischen Qualifikationen – ist unverändert geblieben. Allerdings hat sich das Projekt im Laufe der Jahre gewandelt. Wir haben immer sehr flexibel auf die Migrationswellen in Deutschland und die geopolitischen Prozesse in Europa und der Welt reagiert.

All das hat sich unmittelbar auf unsere Arbeit ausgewirkt. Wir arbeiteten und arbeiten vor allem mit Einwanderer*innen aus dem postsowjetischen Raum, aus Südosteuropa, insbesondere auch aus Polen, aber wir helfen den Ratsuchenden mit Abschlüssen aus der ganzen Welt. Wenn wir über die Migrationsprozesse sprechen, sollten wir die Migrationswellen aus Syrien und Afghanistan erwähnen. Zu diesen Zeiten hatten wir neue Kollegen, die in den entsprechenden Sprachen beraten konnten.

Was uns und unsere Partner auszeichnet, ist, dass wir mit den Ratsuchenden in ihrer Mutter- oder Bildungssprache arbeiten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir sind Migranten*innenselbstorganisationen, und Berlin ist das einzige Bundesland in Deutschland, wo die Beratung auf der Grundlage des Konzepts der aktiven Beteiligung von Migranten*innenorganisationen angeboten wird. Der Verein „La Red“ bietet zum Beispiel die Beratung auf Spanisch, Italienisch und Englisch an. Der TBB – Türkischer Bund in Berlin und Brandenburg berät auf Türkisch und Arabisch. Und wir im Club Dialog e.V. – auf Russisch, Ukrainisch, Polnisch, Englisch, und natürlich arbeiten alle Organisationen auch auf Deutsch.

Es ist sehr wichtig, dass wir uns aktiv in das gesellschaftliche und politische Leben Berlins einbringen. Wir beraten die Entscheidungsträger in Migrationsfragen, wir arbeiteten und arbeiten mit der Regierung, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Bundesagentur für Arbeit, dem Berliner Senat und insbesondere seinem Büro für Integration, Migration und Partizipation zusammen. Wie sich die Welt in diesen 13 Jahren verändert hat, hat sich natürlich auch das Projekt verändert.

Die Philosophie des Projekts ist, dass wir von den Wünschen und Vorstellungen unserer Ratsuchenden ausgehen. Jede Beratung ist anders als die andere, keine Situation gleicht sich der anderen, jeder Mensch ist verschieden. Es gibt vielleicht gleiche Abschlüsse, aber kein Bildungsweg und keine Arbeitsgeschichte sind gleich, also arbeiten wir mit jedem Ratsuchenden individuell. Das kostet uns viel Zeit und Energie, aber das ist unser Weg zum Erfolg.

Wie hat sich der Krieg Russlands in der Ukraine auf das Projekt ausgewirkt?

Wir haben sofort reagiert. Das werde ich nie vergessen. Der Krieg begann am Donnerstag, den 24.02.2022, am Freitag schrieben wir das Beratungskonzept, am Montag gingen wir zur Arbeit und die ersten Geflüchtete aus der Ukraine kamen zu uns. Es waren so viele, die ihre Abschlüsse anerkennen lassen wollten, dass wir irgendwann das Gefühl hatten, nicht mehr zurecht zu kommen. Als wir das spürten, haben wir angefangen, die Politiker und die entscheidenden Ministerien um Unterstützung zu bitten.

Wir sind dem Ministerium für Arbeit und Soziales sehr dankbar, dass wir seit letztem Jahr, genauer gesagt, seit November 2023, die Möglichkeit hatten, zusätzliches Personal einzustellen und das Überregionale Kompetenzzentrum für die Anerkennung ukrainischer Berufsabschlüsse zu etablieren. Das ist das einzige bundesweite Kompetenzzentrum seiner Art, das nicht nur in Berlin, sondern auch online bundesweit zum Anerkennungsthema berät und informiert.

Wie wurde das Projektteam gebildet?

Das ist eine sehr komplexe Frage. Bei der Zusammenstellung des Teams haben wir viele Faktoren berücksichtigt. Alle unsere Mitarbeiter*innen verfügen über eine Hochschulausbildung, entweder in Deutschland oder im Ausland, die jedoch hier zu Lande anerkannt ist. Sie müssen über fundierte Kenntnisse der Migrationspolitik und der deutschen Gesetzgebung verfügen. Wichtig sind auch interkulturelle Kompetenzen, Kommunikationsfähigkeiten und Fremdsprachkenntnisse. Ich denke, es ist uns gelungen, ein solches Team zusammenzustellen.

Wie schätzen Sie die Aussichten fürs Beratungsangebot über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse ein?

Ich denke, der Bedarf an solch einer Beratung nimmt zu. Viele ukrainische Geflüchtete treten jetzt in den Arbeitsmarkt ein. Es ist klar, dass es eine erste Phase gab: Flucht aus der Ukraine, sich in Deutschland einzuleben, die allgemeine Situation hier zu stabilisieren. Die Zeit ist vergangen, viele beenden bereits die Sprachkurse und suchen die Arbeit. Wir wissen aber, dass es in manchen Berufen einfach unmöglich ist, ohne anerkanntes Diplom im eigenen Fachgebiet zu arbeiten.

Ich bin auch der Meinung, dass selbst wenn es sich um einen so genannten nicht reglementierten Beruf handelt, und die Anerkennung des Abschlusses nicht verpflichtend ist, bleibt die Anerkennung sehr empfehlenswert. Mit einem anerkannten Diplom ist es viel einfacher, einen Arbeitsplatz zu finden.

Die Beratungen zur Anerkennung von Abschlüssen haben noch eine Bedeutung und Perspektive. Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen ist sowohl für die Wirtschaft als auch für die Politik relevant, das sind keine leeren Worte. Wir wissen, dass Deutschland derzeit das Programm JobTurbo umsetzt, das die Menschen beim Einstieg ins Berufsleben unterstützen soll, die Anerkennungsberatung ist dabei ein mitwirkendes Instrument.

Auch ist die Anerkennung ausländischer Abschlüsse ein wichtiges Teil der gesellschaftlichen Willkommenskultur. Wenn ein Diplom anerkannt ist, handelt es sich nicht nur um ein Dokument, sondern auch um eine Person und deren Lebensweg. Es ist also sehr wichtig für einen Menschen, denn es ist auch Anerkennung von ihn selbst und ein Zeichen des Respektes vor seiner Bildungs- und Arbeitsbiografie.

Julia, Sie haben mehr als 20 Jahre lang im Club Dialog e.V. gearbeitet und das Beratungsprojekt zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse geleitet. Hunderte von Menschen haben Ihr Projekt und Ihre persönlichen Beratungen durchlaufen, gibt es Geschichten, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Der aufregendste Moment ist natürlich, wenn diejenigen, die beraten wurden, wiederkommen und Ergebnis der Anerkennung zeigen.

Ich hatte zum Beispiel einen Ingenieur in der Beratung, der drei Abschlüsse hatte und wir haben alle drei anerkennen lassen. Danach eröffnete er eine Firma in Berlin. Seine Freundin, die ihm folgte, brachte zwei Diplome mit. So kam es, dass ich die ganze Familie beraten habe. Er ist Bauingenieur, sie ist Architektin, die Ausbildungen wurden anerkannt und sie beide sind jetzt sehr erfolgreich.

Es gab einen Apotheker, der nach unserer Beratung seinen Abschluss anerkannt bekam und dann in einer Apotheke arbeitete, in die ich zufällig kam, um Medikamente zu kaufen. Das war eine sehr emotionale Begegnung.

Nicht jede Beratung führt am Ende zur Anerkennung des Abschlusses. Ist die Beratung in diesem Falle sinnhaft?

Die Beratung macht einen großen Unterschied. Viele Menschen lesen falsche Informationen im Internet und haben keine richtige Vorstellung, wie die Anerkennung von Abschlüssen abläuft. Während des Beratungsgesprächs können wir erkennen, dass das Diplom zum Beispiel nicht anerkannt werden kann oder, dass es Probleme im Verfahren geben könnten. Wir erklären dies auf professionelle Art und Weise und sagen, welche alternativen Wege es zur beruflichen Erfüllung geben könnte. Wir sprechen darüber als Berater, nicht auf der Grundlage unserer persönlichen Einschätzungen, sondern auf der Grundlage ganz konkreter Regelungen und Gesetze.

Wir haben einmal definiert, was eine erfolgreiche Beratung ist. Die Beratung ist erfolgreich dann, wenn der oder die Ratsuchende danach verstanden hat, was er oder sie machen kann oder nicht kann, und weiß, was er oder sie als Nächstes tun soll. Natürlich gibt es viele alternative Wege und wir richten uns immer nach den Wünschen und Fähigkeiten unserer Ratsuchenden.

Welchen Rat würden Sie anderen Berater*innen geben?

Zuerst muss man die Tatsache akzeptieren, dass es eine riesige Menge an Material gibt, die studiert werden muss. Es gibt Gesetze, Rechtsverordnungen, eine gründliche Kenntnis des deutschen Bildungssystems ist auch vom großen Nutzen. All das muss man sich selbst aneignen und danach kompetent vermitteln. Man kann nicht in die Beratung hingehen und sagen: „Ich glaube, das ist es, was ich denke“ oder „Ich vermute, das ist es, was ich denke“. Alles, was wir sagen, muss auf konkretem und offiziellem Material beruhen.

Diese Arbeit erfordert enorme Disziplin, ich würde sogar sagen „Bereitschaft zur Hingabe“, vielleicht ist das eine Bezeichnung, die nicht alle mögen werden. Aber man muss in klarem sein und sich bewusst zum ständigen Lernen bekennen. Im Prinzip haben meine Kolleg*innen und ich in all den Jahren ständig gelernt: neue Materialien, neue Änderungen in der Gesetzgebung, neue Fälle – wir haben alles ausdiskutiert und durchbearbeitet.

Man muss verstehen, dass es sich um eine große und verantwortungsvolle Aufgabe handelt, nicht nur um eine einfache: gekommen um zu reden und vorzuschlagen, was man selbst vermutlich für notwendig hält.

Zweitens muss Berater*ìn können sich in die Lage des oder der Ratsuchenden zu versetzen und verstehen, was der oder die Ratsuchende will.

Aber nicht, um eine Entscheidung für die Person zu treffen?

Ja, wir treffen niemals eine Entscheidung für die Ratsuchenden. Wir müssen sie umfassend informieren und die Situation in Bezug auf die Anerkennungsmöglichkeiten erklären. Die Entscheidung wird letztendlich von der Person selbst getroffen.

Einer der wichtigsten Aspekte unserer Arbeit ist Empowerment der Ratsuchenden. Wir motivieren die Ratsuchenden, dieses oder jenes zu tun, es ist aber ein Erfolg, wenn sie in der Beratung alles verstehen und danach alles selbst machen.

Was würden Sie denjenigen raten, die jetzt darüber nachdenken, ausländische Abschlüsse in Deutschland anzuerkennen?

Ich möchte allen, die ein Diplom anerkennen lassen und in einem Beruf arbeiten wollen, vermitteln, dass es das Wichtigste ist, sich an Profis zu wenden. Wenn man sich nicht an die Fachleute wendet, sondern auf das hört, was der Nachbar oder jemand in der Schlange vor dem Geschäft sagt, entstehen oft die Probleme. Wir haben versucht, diese Probleme zu lösen, aber es ist viel einfacher, sich beraten zu lassen und sofort mit dem Anerkennungsprozess, aber richtig, zu beginnen.